Fragen stellen - eine Schlüsselkompetenz 2025-01-08 - Kategorien: Unterricht Moodle Im Unterricht gibt es ein bemerkenswertes Paradoxon: Meist ist es die Lehrkraft, die die Fragen stellt – also diejenige Person, die den Stoff beherrscht und genau weiß, worauf es ankommt. Die Schüler hingegen sind oft diejenigen, die Fragen am dringendsten benötigen, um ihre Unsicherheiten zu klären und ihr Verständnis zu vertiefen. Doch gerade das fällt vielen Schülern schwer. Oftmals sind ihre Fragen zu allgemein, unspezifisch oder fokussieren sich nur auf Faktenwissen, ohne tiefergehende Überlegungen oder eine gute Formulierung. Fallbeispiel: Die Fragerunde vor einem Leistungsnachweis in BwR (8. Jahrgangsstufe) Vor einem Leistungsnachweis im Fach BwR wird häufig eine Fragerunde abgehalten, um Unklarheiten zu beseitigen und den Schülern die Möglichkeit zu geben, offene Fragen zu stellen. Doch in der Praxis zeigen sich oft typische Probleme: Zu allgemeine oder unspezifische Fragen: Viele Schüler stellen Fragen wie „Könnten Sie noch einmal zeigen…?“ oder „Was muss ich wissen?“ Diese Fragen sind zu weit gefasst und helfen nicht dabei, konkrete Punkte zu klären. Sie vermitteln keine Vorstellung davon, was die Schüler tatsächlich nicht verstehen oder wo sie Schwierigkeiten haben.. Mangelnde Auseinandersetzung mit den Inhalten: Eine gute Frage setzt voraus, dass sich der Schüler zuvor mit dem Thema beschäftigt hat. Doch in vielen Fällen merkt man, dass die Fragen eher eine oberflächliche Beschäftigung mit dem Thema widerspiegeln. Anstatt gezielt nach bestimmten Aspekten zu fragen, hoffen die Schüler oft auf eine einfache Antwort, die ihnen das gesamte Thema erklärt. Unklare oder fehlerhafte Formulierung: Eine präzise Frage erfordert eine klare und korrekte Formulierung. Häufig jedoch sind die Fragen der Schüler ungenau oder schlecht strukturiert, was es schwer macht, den Kern der Frage zu erfassen. Oft fehlt es an der richtigen Wortwahl oder an Fachbegriffen. Fokussierung auf reines Faktenwissen: Viele Schüler fragen nur nach Fakten oder Definitionen, die leicht im Schulbuch, in einem Glossar oder in den Notizen nachzuschlagen wären. Warum ist es wichtig, gute Fragen zu stellen? Gute Fragen erfordern, dass sich Schüler intensiv mit einem Thema auseinandersetzen. Sie müssen überlegen, was sie bereits wissen und wo sie noch Unklarheiten haben. Dies fördert nicht nur das Verständnis von Kompetenzen, sondern auch die Entwicklung von kritischem Denken und Problemlösungsfähigkeiten. Eine klare und präzise Formulierung von Fragen ist eine wichtige Kommunikationsfähigkeit, die Schüler im späteren Leben immer wieder benötigen werden. Schüler, die in der Lage sind, gezielte Fragen zu stellen, können gezielt Lücken im Wissen identifizieren und diese schließen. Die Fähigkeit, präzise und durchdachte Fragen zu stellen, ist nicht nur im klassischen Lernumfeld von Bedeutung, sondern auch entscheidend, wenn es darum geht, mit KI-Systemen effektiv zu interagieren und von ihnen zu profitieren. Ein guter Fragesteller denkt über die bloße Faktenabfrage hinaus und stellt Fragen, die auf Analyse und tieferem Verständnis basieren. Bewertungsraster FRAG! Um Schülern eine strukturierte Herangehensweise an das Formulieren von guten Fragen zu ermöglichen, habe ich für die BwR-Stunde vor dem Leistungsnachweis das FRAG!-Bewertungsraster entwickelt. Das Raster soll helfen, Fragen präzise und durchdacht zu stellen. Es ist wichtig zu betonen, dass es keineswegs dazu gedacht ist, Schülern Angst vor „falschen“ Fragen zu machen. Jede Frage ist ein Schritt in die richtige Richtung, da sie Interesse zeigt und den Lernprozess fördert. Was das Raster vielmehr bieten soll, ist eine Hilfestellung, um Fragen noch gezielter und effektiver zu stellen. Kriterien Fokussiert – Die Frage sollte auf einen konkreten Sachverhalt abzielen. Eine gute Frage bezieht sich auf einen bestimmten Aspekt des Themas. Reflektiert – Die Frage sollte zeigen, dass sich der Schüler mit dem Thema beschäftigt hat. Der Schritt der Reflexion ist entscheidend, weil eine gute Frage nicht einfach eine Antwort erwartet, sondern die Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt zeigt. Ausformuliert – Die Frage sollte klar und korrekt formuliert sein. Schüler sollten in der Lage sein, ihre Fragen so zu formulieren, dass die Kernproblematik sofort erkennbar ist. Dazu gehört eine sprachlich korrekte Formulierung und inhaltliche Vollständigkeit. Ganzheitlich – Die Frage sollte mehr als nur Faktenwissen abfragen, sondern zum Nachdenken anregen und tiefergehendes Verständnis erfordern. Anstatt etwa nach der Definition zu fragen, sollte die Frage Wissen in einen größeren Zusammenhang setzen. Bewertungsraster: FRAG! Kriterium Beschreibung Fokussiert Die Frage zielt auf einen konkreten Sachverhalt. Reflektiert Die Frage zeigt, dass sich mit dem Sachverhalt zuvor auseinandergesetzt wurde. Ausformuliert Die Frage ist sprachlich korrekt, verständlich und klar formuliert. Ganzheitlich Die Frage fordert zum Nachdenken auf und geht über reines Faktenwissen hinaus. Beispiel Frage 1 “Was ist eine Eingangsrechnung?” Bewertung nach FRAG! Kriterium Begründung Erfüllt? Fokussiert Die Frage ist konkret und fokussiert auf eine Definition der Eingangsrechnung. ✅ ja Reflektiert Keine tiefere Auseinandersetzung mit der Bedeutung der Eingangsrechnung. ❌ Nein Ausformuliert Die Frage ist grammatikalisch korrekt, aber sehr knapp formuliert. ⚠️ Teilweise Ganzheitlich Die Frage verlangt lediglich eine einfache Definition, die sich im Glossar finden lässt. ❌ Nein Ergebnis: Verbesserungswürdige Frage Frage 2 “Anhand welcher Merkmale kann man eine Eingangsrechnung von einer Ausgangsrechnung unterscheiden?” Bewertung nach FRAG! Kriterium Begründung Erfüllt? Fokussiert Die Frage zielt klar auf die Unterscheidung der beiden Rechnungsarten ab. ✅ Ja Reflektiert Die Frage zeigt, dass der Fragende sich über die Bedeutung der Unterschiede bewusst ist. ✅ Ja Ausformuliert Die Frage ist grammatikalisch korrekt und verständlich formuliert. ✅ Ja Ganzheitlich Die Frage erfordert Verständnis der Unterschiede und könnte auf die Bedeutung für die Buchführung überleiten. ⚠️ Teilweise Grenzen des Konzepts Strikte Kategorien könnten Schüler im Denken einschränken und ihre Spontanietät beim Fragen hemmen. Fehler und unstrukturierte Fragen können oft zu guten Lernmomenten führen. Das Konzept geht auch nicht auf individuelle Bedürfnisse ein. Es ist möglicherweie nicht auf andere Fachbereiche übertragbar. Jedoch ist es wichtig zu betonen, dass das Konzept für die Vorbereitung auf Leistungsnachweise im Fach BwR konzipiert wurde und nicht ohne weiteres auf alle anderen Unterrichtsphasen übertragen werden kann. In anderen Kontexten, wie etwa im explorativen und kreativen Lernen, ist ein flexiblerer Umgang mit Fragen oft hilfreicher und förderlicher für den Lernprozess. Umsetzung Moodle bietet alle notwendigen technischen Funktionen, um das Konzept unkompliziert umzusetzen. Man muss lediglich ein Forum einrichten und kann optional das Bewertungsraster über die Bewertungsmethode “Rubrik” implementieren. Da sich jeder Schüler auf genau eine Frage konzentrieren soll, habe ich das “Jede Person darf ein Thema anlegen”-Forum gewählt. Ziel Es soll geübt werden, präzise und durchdachte Fragen zu formulieren, die für den bevorstehenden Leistungsnachweis von Bedeutung sind. Zuvor haben sich die Schüler mit Übungsaufgaben intensiv mit den relevanten Themen auseinandergesetzt. Ablauf Zu Beginn der Stunde wird das Ziel erklärt und der Zusammenhang zwischen der Qualität von Fragen und dem Lernprozess hervorgehoben. Die Schüler sollen die vier Hauptkriterien des FRAG!-Konzepts verstehen. Es wird ein Beispiel für eine gute und eine weniger gute Frage gezeigt und die Unterschiede zwischen beiden werden gemeinsam besprochen. Im nächsten Schritt wird die Aufgabe gestellt, dass jeder Schüler eine Frage zu einem relevanten Thema im Forum postet. Die Schüler werden darauf hingewiesen, dass sie sich auf eine einzelne Frage konzentrieren sollen. Nachdem alle Schüler ihre Fragen gepostet haben, werden einige Fragen gemeinsam überprüft und die Kriterien des FRAG!-Konzepts angewendet. Durch diese Überprüfung und Besprechung wird den Schülern bewusst, welche Aspekte beim Stellen von Fragen besonders wichtig sind und wie die Qualität der eigenen Fragen gesteigert werden kann. Nach der Überprüfung der Fragen erhalten die Schüler die Aufgabe, Fragen ihrer Mitschüler zu beantworten. Daraus resultierend sollen auch Diskussionen entstehen. Am Ende der Stunde erfolgt eine gemeinsame Reflexion über den Prozess. Dabei wird besprochen, wie sich die Schüler dadurch besser auf den Leistungsnachweis vorbereiten können. Fazit Die Stunde zeigte, dass das Stellen guter Fragen eine anspruchsvolle Kompetenz ist, die gezielt geübt werden muss. Im Einzelnen habe ich folgende Beobachtungen gemacht: Herausforderung der Kriterien: Nur wenige Schüler schafften es, eine Frage zu stellen, die alle Kriterien des FRAG!-Rasters erfüllte. Dies verdeutlicht den hohen Anspruch, den eine präzise und reflektierte Frage mit sich bringt. Gemeinsame Bewertung: Die Bewertung der Fragen im Klassenverband war ein Erfolg. Die Schüler konnten die Kriterien sicher anwenden und waren häufig selbstkritisch, was ihre eigene Fragestellung betraf. Unterschiedliche Leistungsniveaus: Starke Schüler taten sich leichter, Fragen zu stellen, die den Kriterien entsprachen. Schwächere Schüler hatten Schwierigkeiten, eine klare und durchdachte Frage zu formulieren. Aufgaben als Fragen: Einige Schüler formulierten lediglich Aufgabenstellungen um und verpackten sie als Frage. Dies fiel jedoch im Bewertungsprozess auf und wurde thematisiert. Diskussionen: Einige wenige Fragen lösten eine Diskussion im Forum aus. Das zeigt das Potenzial, dass gute Fragen zum Nachdenken und Austausch anregen können. Bewertung Das Stellen guter Fragen ist eine Schlüsselkompetenz, die kontinuierlich geübt werden sollte. Der schriftliche Austausch in einem Moodle-Forum bietet hierfür eine ideale Plattform. Die Schüler können dort nicht nur ihre Fähigkeiten trainieren, sondern auch langfristig auf die gesammelten Fragen und Antworten zurückgreifen.